Sind Sie integriert? Wenn ja, worin sind Sie integriert? Und wenn nein: gibt es Orte, Gemeinschaften, in denen Sie gerne integriert wären?
Das Wort Integration ist in vielen Bereichen, sei das Ausländerpolitik oder Behindertenwesen, ein Schlagwort. Und ja, natürlich ist Integration wichtig. Die Frage ist nur, was man damit meint. Wie so oft, gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen, was ein Wort bedeutet und wie viel es beinhaltet.
Wenn jemand in ein fremdes Land kommt, ist es aus meiner Sicht für alle von Vorteil, wenn sich dieser Mensch integriert. So kann er auch teilnehmen am sozialen Leben in diesem neuen Land. Damit er das kann, muss er die Sprache beherrschen. Ohne ist es sehr schwierig, sich zu integrieren, jedenfalls ausserhalb der eigenen Immigrations-«Bubble».
Ja, ich bin der Ansicht, dass Migranten die Landessprache lernen sollen, alle, ausnahmslos, ausser diejenigen, die das tatsächlich nicht können, also nur die zu stark geistig Behinderten. (Darf man das noch sagen? Oder gibt es jetzt ein neues schönes Wort dafür? Auf Englisch würde es heissen «mentally challenged», also «geistig herausgefordert». Nur: das sind wir alle zwischendurch, deshalb finde ich den Begriff nicht so passend.)
Die Krux bei der Sache ist: Integration heisst nicht «gleich machen». Es kann nicht Sinn und Zweck sein, dass Menschen aus anderen Kulturen diese Kulturen ganz ablegen und damit ihre Bräuche, teilweise auch ihre Ansichten völlig verändern.
Gerade beim Essen sind wir ja sehr froh um die Bereicherung aus der ganzen Welt, jedenfalls Menschen wie ich, die exotisches Essen lieben.
Dass alle unsere Gesetze respektieren müssen, ist für mich eine Selbstverständlichkeit, ebenso gewisse soziale Regeln. Aber wieso sollen wir Ihnen vorschreiben, wie sie sich zu kleiden und welche Musik sie zu hören haben? Oder versuchen, sie zu verwestlichen?
Es ist eine Gratwanderung, denn natürlich ist ein gewisser Anteil Anpassung in vielen Bereichen des täglichen Lebens, ein grosser sogar, vonnöten, damit jemand aus einem anderen Land sich in einem neuen Land wohlfühlt und auch ein Stück weit Wurzeln wachsen lassen kann. Bei der Überanpassung hingegen besteht die Gefahr, dass man sich ganz verliert und nirgends hingehört. Das macht früher oder später krank. Es ist ein feiner Grat, glauben Sie es mir, denn ich habe es sowohl als Kind wie als Erwachsene erlebt. Und dabei habe ich nicht mal den Kulturkreis gewechselt!
Ein zweites grosses Feld, in dem über Integration gesprochen wird, betrifft Menschen mit einer Behinderung. Und ja, auch die sollen selbstverständlich integriert sein, nicht einfach versorgt und verwaltet. Gleichzeitig muss die Gesellschaft Sorge tragen, dass diese Menschen nicht überfordert sind in unserer schnelllebigen, immer technologisierteren Welt.
Und da gibt es nur individuelle Lösungen, da Menschen halt verschieden sind, Menschen mit Behinderung genauso wie Menschen mit keinen oder unsichtbaren Behinderungen. Für die einen ist die Technologie ein Segen, für die anderen ein unüberwindbares Hindernis.
Wichtige Anpassungen muss auch die Gesellschaft machen: es braucht rollstuhlgerechte Zugänge zu Gebäuden und ÖV, es braucht akustische Signale und Informationen für Sehbehinderte in Tram und Zug und an Fussgängerstreifen. Im Kontakt mit Gehörlosen oder schwerhörigen Menschen ist es nur anständig, sich Ihnen zuzuwenden, damit sie Mimik und Lippen sehen können, und in einer Gruppe oder einer Sitzung, dass nur einer aufs mal spricht und dass klar ist, wer.
Sie meinen, das sei banal und selbstverständlich? Ich versichere Ihnen, das ist es leider noch lange nicht. Das sind nur einige Beispiele, es gäbe noch viel mehr. Als Gesellschaft haben wir noch Einiges zu lernen, damit Integration funktionieren kann.
Wir alle sind Individuen, es gibt uns genau einmal auf dieser Erde. Und gleichzeitig sind wir uns sowohl genetisch wie auch sonst sehr, sehr ähnlich, auch wenn es manchmal den Anschein macht, dass es nicht so ist. Damit wir als Gesellschaft gut und harmonisch funktionieren können, braucht es viel Toleranz, den echten Wunsch, die «Fremden» und «Andersartigen» zu verstehen und sich gleichzeitig nicht vor ihnen und dem, was sie uns spiegeln, zu fürchten. Es braucht viel Anpassung auf allen Seiten für eine gelungene Integration. Das BSV schreibt «Es ist ein wechselseitiger Anpassungsprozess»*. Und es wird immer «Work in progress» bleiben, also ein andauernder Prozess.
Wenn Sie mögen, überlegen Sie, wo Sie mehr für die Integration tun können, sei es für die eigene oder für die von anderen. Sie können nur gewinnen, denn Sie werden neue Erfahrungen machen.
*Definition der Integration vom BSV (Bundesamt für Sozialversicherungen)