Letzte Woche war ich an einem Ärzte Kongress in Bellinzona. Es trafen sich die psychosomatisch tätigen Ärztinnen und Ärzte der Schweiz zu einem zweitägigen Austausch. Ich war schon seit vielen Jahren nicht mehr in Bellinzona und habe mich sehr gefreut, wie schön die Stadt mittlerweile herausgeputzt ist. Die bemalten und verzierten Fassaden sind eine Freude fürs Auge. Jedenfalls bei Sonnenschein.
Am ersten Tag hat’s geschüttet, da hielt sich meine Begeisterung durchaus in Grenzen. Was mich erstaunt und gefreut hat ist, dass neue Wohnblöcke ein wenig im Stil der alten Gebäude gebaut werden, also nicht unpersönliche und langweilige Bauten wie teilweise bei uns. So fügen sie sich viel besser ins Stadtbild ein und wirken nicht so sehr wie Fremdkörper.
Der Kongress war wunderbar viersprachig, viele Italienisch, Deutsch und Französisch und ganz wenig (eher mittelmässiges) Englisch. Meinen Italienischkenntnissen hat es gut getan, wieder mal viel in dieser schönen Sprache zu hören. Verstanden habe ich fast alles, mit dem Reden ging es mässig.
Das Thema war „Slow Medicine“. Damit ist gemeint, dass man den Patienten mehr zuhört, mehr Zeit für Gespräche hat, vielleicht weniger interveniert und insbesondere weniger schnell, nicht alles verordnet was möglich ist, sondern was in dieser Situation Sinn macht, dass die PatientInnen in den Prozess eingebunden werden und mitentscheiden dürfen. Das steht im Gegensatz zum eher traditionellen Ansatz, dass „der Arzt schon weiss, was gut ist“ und ohne gemeinsames Nachdenken über den Kopf der Person vor ihm entscheidet. Interessanterweise kommt diese Bewegung aus Italien und ist dort seit über zehn Jahren vorhanden, wie aktiv und umfassen kann ich nicht beurteilen.
Was mich besonders gefreut hat, ist, dass viele junge Ärztinnen und Ärzte anwesend waren. Das lässt mich hoffen, dass sich die Medizin wieder in eine andere, mehr menschenzentrierte Richtung bewegt. Das kann nur gut sein.
Und, habe ich etwas gelernt? Ja, es gab 2, 3 Vorträge, bei denen ich wirklich Neues gehört habe, neue Zusammenhänge und Forschungserkenntnisse und das war spannend.
Die «Slow Medicine» stimmt völlig mit meinem Bild, wie Medizin gemacht werden sollte, überein. Und das nicht erst seit heute! Das habe ich immer schon so gemacht im Rahmen meiner Möglichkeiten (als Assistenzärztin musste ich machen, was die Vorgesetzten richtig fanden, aber ich hatte gute Vorgesetzte!).
Und ich weiss, dass viele der am Kongress Anwesenden das auch so halten und gehalten haben. Diejenigen, die das nicht tun, die über die Köpfe der Patient:innen hinweg entscheiden und sie anpflaumen, wenn sie Fragen stellen oder sich weigern, eine Behandlung machen zu lassen, diejenigen waren nicht da.
Das ist wie bei Kommunikationskursen: die, die kommen, können es schon und wollen besser werden. Die, die es nicht können, kommen schon gar nicht.
Bedenklich finde ich, dass diese Haltung, dass Ärztin und Patientin sich auf Augenhöhe begegnen, nicht allgegenwärtig ist. Ich meine mitzukriegen, dass es besser wird, aber ich kriege ja nur wenig mit. Und ich kriege leider auch die anderen Geschichten mit.
Was bringt also so ein Kongress, der zu den schon «Bekehrten predigt»? Einerseits sicher Wissenszuwachs für die, die schon viel über das Thema wissen. Andererseits ein gewisses Gemeinschaftsgefühl im Sinn von «es gibt noch andere, die so denken wie ich und das gut finden». Und, wenn es ein bisschen medial ausgewertet wird, hat es vielleicht auch eine bereitere Wirkung. Letztlich kommt der Druck ja von Seiten der Patientinnen und Patienten. Wenn sie für eine andere Medizin einstehen, werden sich die noch etwas starrköpfigen Ärzte und Ärztinnen anpassen müssen, da sie sonst schlechte Google-Rezessionen bekommen. Nicht dass ich viel von Google-Rezessionen halte, weil man da jemanden auch ganz bewusst und völlig ungerechtfertigt abstrafen kann, und trotzdem sind sie eine Realität. Niemand möchte eine schlechte Bewertung in Google oder einem anderen Portal.
Falls Sie irgendwo, ob nun medizinisch oder in einem Amt, nicht so behandelt werden, wie Sie gerne möchten, dann empfehle ich Ihnen sehr, dass Sie sich wehren! Das kann man auch höflich und freundlich machen. Und wenn die Möglichkeit besteht, woanders hinzugehen, wenn es Ihnen nicht passt, dann tun Sie das, haben Sie den Mut zu wechseln.
Und umgekehrt: falls Sie irgendwo zufrieden sind mit der Behandlung, dann sagen Sie das, sowohl dem Gegenüber als auch Ihren Freundinnen und Freunden und Ihren Bekannten. Wir vergessen oft, das Gute zu erwähnen. Und das ist schade, denn das würde jemanden den Tag verschönern. Ihnen selbst auch!
Ich freue mich über alle, die ihre Beziehungen selbst gestalten wollen! Das verändert die Welt zum Besseren.